Israelische Soldaten beim Begräbnis eines Kollegen
Israelische Soldaten beim Begräbnis eines Kollegen

Israels PM Netanyahu zieht die Reissleine und beendet die Gaza-Bodenoffensive nach bereits zwei Wochen ohne militärisch auch nur einen einzigen nennenswerten Erfolg erzielt zu haben. Der islamische Widerstand in Gaza feiert seine moralische und militärische Übermacht.

Von Abdel Azziz Qaasim Illi  


Die Bilanz für die einst als so unbesiegbar gefeierte israelische Armee ist durchwegs ernüchternd. Je nach Angaben fielen bei der Bodenoffensive zwischen 66-150 israelische Soldaten. Mindestens einer soll in Kriegsgefangenschaft geraten sein. Zahlreiche Panzer wurden zerstört – vielleicht sogar ein Helikopter abgeschossen. Das Regime in Ägypten wird zu einer Kehrtwende gezwungen und muss fortan seinen Umgang mit der Hamas wohl neu strukturieren.

Vergleicht man die blossen Opferzahlen, hat Israel einen klaren Sieg erzielt. Aber was für einen? Hunderte Frauen, Kinder und andere unbewaffnete Zivilisten, Schulen, Spitäler, Elektrizitätswerke, die Wasserversorgung usw. wurden wahllos bombardiert – so weit, dass sogar Human Rights Watch von „Kriegsverbrechen“ seitens Israels spricht. Die meisten Opfer auf palästinensischer Seite starben bei Luftangriffen oder bei Artilleriebeschuss – alles aus sicherer Distanz, wobei der Angreifer keinerlei Risiko eingeht. Praktisch alle israelischen Verluste hingegen bestehen aus angreifenden Soldaten, die im oder unmittelbar um den Gazastreifen fielen. Anders als die palästinensischen Zivilisten hatten Sie die Wahl: Kämpfen, was die Möglichkeit des Fallens miteinschliesst oder den Dienst zu verweigern und dafür unehrenhaft aus der Armee entlassen zu werden. Sie entschieden sich allesamt für den Kampf in dessen Verlauf sie auf die erfahrenen Brigaden der Izze Din al- Qassam stiessen.

Anders als ihre Kollegen bei der IAF (Luftwaffe) und der Artillerie hatten sie den undankbaren Auftrag den islamischen Izze Din al-Qassam Brigaden im Nahkampf zu begegnen – dort wo der islamische Widerstand bekanntlich seinen Feinden immer eine Elle voraus ist. Gross musste die Angst jener 20-30 jährigen Israelis gewesen sein, als sie ihre ersten Schritte auf dem Territorium der Izze Din al-Qassam tätigten. Während ein israelischer Panzerfahrer oder Grenadier vor einem kurzen Abenteuer, einem begrenzten Einsatz im Rahmen seiner Dienstpflicht steht, hat sich sein Gegenüber, der islamische Widerstandskämpfer jahrelang auf dieses Zusammentreffen mit dem Feind vorbereitet – spirituell-geistig wie militärisch. Seine Einsatzzeit ist nicht dienstrechtlich festgelegt. Sein Einsatz endet mit dem Sieg oder seinem Martyrium. Sein Kampf dient nicht einer Staatsräson, nur bedingt einem Vaterland. Sein Kampf dient vielmehr und in aller erster Linie der Erfüllung des wohl anspruchsvollsten Gottesdienstes: dem selbstlosen, völlig altruistischen Kampf auf dem Weg Allahs. Die Chancen, dass er im Kampf mit den Israelis sein Martyrium findet, stehen ausgezeichnet. Hat er seine Berufung, seine Dienstpflicht gegenüber Allah jedoch richtig verinnerlicht, stört ihn dies ganz und gar nicht – im Gegenteil, es befeuert ihn, es erfüllt ihn mit Sehnsucht, mit Eifer (arab. hamas) – er besinnt sich seinem auf ihn wartenden Lohn – im Diesseits der moralische Sieg gegen einen zutiefst verachteten, unmoralischen Gegner und im Jenseits nichts weniger als die höchste Stufe des Paradieses – Gärten in denen Milch und Honig fliesst, Reinheit in Reinform und Sündlosigkeit des Knechts – die vollendete Gerechtigkeit.

Auf der anderen Seite bleibt eine deprimierte israelische Gesellschaft zurück. Weder materiell noch ideell kann sie ernsthaft von einem Sieg reden. Schon gar nicht moralisch! Wie denn auch? Wer kann stolz auf den Tod Hunderter schutzloser Kinder und Frauen sein? Und dann noch die Hypothek: Diplomatische Beziehungen geraten ins Stocken, Menschen weltweit erkennen die Ungerechtigkeit, die Arroganz des israelischen Kolonialismus. Rechtfertigt man so sein Existenzrecht? Netanyahu muss man anrechnen, dass er von Anfang an skeptisch war und am Nutzen eines Bodenkriegs zweifelte. Die Suppe wird er dennoch auslöffeln müssen.

Immerhin ist Israel und die Welt um eine Lektion reicher: Bodenkriege gegen islamische Brigaden sind verlustreich und ineffektiv. Der islamische Widerstand – sofern mit dem Boden, d.h. mit den ansässigen Menschen in Harmonie und Einklang – ist kraft seiner enorm moralischen Konzeption als innerweltlicher Gottesdienst an der Schnittstelle zum Jenseits eine mit konventionellen Mitteln kaum bezwingbare Grösse.

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